2. November 2000

TIBET INFORMATION NETWORK

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Tibetischer Mönch stirbt nach Schüssen der nepalesischen Polizei

Ein tibetischer Mönch starb am Freitag, den 27. Oktober, auf dem Weg ins Krankenhaus in Kathmandu, nachdem er auf seine Flucht über die Grenze nach Nepal hin auf nepalesischem Gebiet von der Polizei durch einen Schuß verletzt wurde. Ein weiterer tibetischer Mönch aus demselben Kloster Labrang in der Provinz Gansu und eine Tibeterin, die sich ebenfalls in der Gruppe von 22 Flüchtlingen befanden, liegen nach dem Zwischenfall mit schweren Verletzungen im Krankenhaus in Kathmandu. Weitere zwei Tibeter der Gruppe werden vermißt, und man weiß nicht, ob sie sich in Polizeigewahrsam oder auf dem Weg nach Kathmandu befinden und ob sie überhaupt noch am Leben sind.

Das UN Hochkommissariat für Flüchtlinge in Kathmandu sagte heute (2. November), daß das nepalesische Innenministerium und die Polizeibehörde den Vorfall wahrscheinlich untersuchen würden.

Der 20 Jahre alte Mönch Kunchog Gyatso aus Labrang wurde am 27. Oktober durch einen Schuß tödlich verletzt, und es heißt, daß er auf der Fahrt in das Kathmandu Lehrkrankenhaus verblutete. Der Zustand des zweiten Mönches aus Labrang im Krankenhaus in Kathmandu wird als stabil beschrieben. Der Zustand der Tibeterin, die ins Bein getroffen wurde und mit einem zertrümmerten Knochen in demselben Hospital liegt, soll ernst sein. Drei weitere Tibeter derselben Gruppe wurden weniger schwer verletzt und werden in dem Empfangszentrum für Flüchtlinge in Kathmandu behandelt.

Roland Weil von dem UN Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Kathmandu meinte TIN gegenüber: "Wir stehen wegen des Zwischenfalls in Verbindung mit dem Innenministerium Nepals, und solange wir Leute vermissen, werden wir in Verbindung bleiben, um nach ihnen zu forschen. Das Innenministerium zeigte sich kooperativ und bedauerte natürlich den Zwischenfall. Ich glaube, alle sind sich einig, daß die Polizei zu gewalttätig vorging, und nun wurden Instruktionen erteilt, damit so etwas nicht wieder passiert. Wir hoffen, daß eine Untersuchung die genauen Umstände ans Licht bringen wird."

Die Schießerei fand zwischen Jiri, einer der ersten nepalesischen Ortschaften am Weg von Tibet nach Nepal durch Solo Khumbu, und dem etwa 5 Fahrtstunden östlich von Kathmandu gelegenen Charikot statt. Die Gruppe von 22 hauptsächlich aus der Provinz Qinghai kommenden tibetischen Flüchtlingen wurde von der nepalesischen Polizei festgenommen und 2 Tage in der Polizeistation von Jiri festgehalten. Die Polizei übergibt die in Nepal ankommenden Flüchtlinge üblicherweise der nepalesischen Einwanderungsbehörde, welche zusammen mit dem Büro des UN Hochkommissariats für Flüchtlinge für ihre sichere Weiterreise nach Indien sorgt. Wie zwei der Tibeter berichteten, wurden alle Flüchtlinge in der Polizeistation von Jiri geschlagen, und am zweiten Tag ihrer Festhaltung griffen die Polizisten zwei junge Tibeter heraus, die sie ins Freie brachten und schwer schlugen. Die übrige Gruppe fürchtete, dies könnte ein Hinweis sein, daß sie nach Tibet deportiert werden, weshalb sie beschlossen, die Polizeistation zu verlassen und auf eigene Faust nach Kathmandu weiterzureisen.

Die Polizei in Jiri versuchte sie zurückzuhalten, und wie die Flüchtlinge erzählen, kam es dabei zu einem Handgemenge, bei dem die Polizisten Steine auf sie warfen und mit lathis (lange Stöcke) auf sie einschlugen, als sie aus der Polizeistation wegzurennen versuchten. Zwei Tibeter wurden offensichtlich von den lathis auf den Kopf getroffen und fielen hin, andere der Gruppe versuchten ihnen zu helfen. Etwa 10 Polizisten hätten sie verfolgt, und ein Stück weiter unten an der Straße hätte sie eine weitere Gruppe von Polizisten mit lathis und Gewehren erwartet, die sagten, sie würden sie nach Kathmandu geleiten. Sie wurden jedoch nicht nach Kathmandu gebracht, sondern die ganze Gruppe wurde nach verläßlichen Berichten in einem Bus oder LKW in die Gegend von Charikot gefahren. Wieder weigerten sich die Flüchtlinge aus Angst, sie könnten nach Tibet deportiert oder geschlagen werden, in die Polizeistation zu gehen, und rannten durch die engen Gassen der Ortschaft, um zu entkommen. Die Polizisten verfolgten sie, und wie ein Flüchtling berichtete, ermutigten sie sogar Schaulustige, Steine auf die Tibeter zu werfen.

Die Polizei schoß nun auf die Flüchtlinge, wobei drei schwer verletzt wurden. Zwei der verwundeten Flüchtlinge gaben an, daß die Tibeter erst dann Steine auf die Polizisten zu werfen begannen, als diese das Feuer eröffnet hatten.

So erzählte ein Flüchtling, der nun in Kathmandu ist, TIN: "Wir dachten, die Polizei würde uns nach China zurückschicken, denn wir hatten gehört, daß sie die Leute manchmal einen Tag festhalten, aber dann wieder freilassen. Aber wir waren schon zwei Tage lang in Gewahrsam, weshalb wir weggehen wollten. Die Polizei versuchte uns aufzuhalten, da entstand ein Gerangel, und die Polizisten schlugen uns mit Holzstöcken. Aber dann griffen sie zu ihren Revolvern und schossen auf uns. Wir verstanden nicht, was sie sagten, und wiederholten nur 'Bitte, bitte, Dalai Lama!'. Wir rannten in alle Richtungen, es war so schrecklich."

Nach der Schießerei wurden 12 Tibeter festgenommen und der Rest entkam. Wie einer von ihnen erzählte, schlugen die Polizisten Kunchog Gyatso und die anderen 11 Tibeter nach der Schießerei noch weiter. Die Verletzten wurden in das Kathmandu Lehrkrankenhaus gebracht: "Kunchog Gyatso war mein Freund, wir hatten uns auf der Flucht aus Tibet getroffen. Er wurde unter dem Ohr getroffen, die Kugel durchdrang wohl seinen Kiefer. Die Polizei steckte ihn erst zusammen mit dem Rest von uns in ein Auto. Sein Mund war voller Blut und seine Zähne waren ausgebrochen. Als die Polizisten sahen, daß er ernster als wir anderen verletzt war, legten sie ihn in ein anderes Auto. Er muß auf dem Weg zum Hospital gestorben sein, denn ich sah ihn nicht wieder."

Fünf weitere Personen, die während der Schießerei geflohen waren, kamen am 2. November in dem Flüchtlingslager an, und das UNHCR hörte, vier weitere seien auf dem Weg nach Kathmandu. Zwei Tibeter aus der Gruppe der 22 fehlen noch, und man weiß nicht, ob sie auch bei der Schießerei verletzt wurden. Von den drei Tibetern, die in dem Aufnahmezentrum für Flüchtlinge behandelt werden, ist einer ein Mönch aus der Tibetisch Autonomen Präfektur Golog in der Provinz Qinghai, der andere ein Laie aus der Präfektur Haidong in Qinghai, und der dritte kommt aus einer Nomadenfamilie in der TAP Malho, ebenfalls Qinghai, die Teile des traditionellen Amdo umfaßt.

Zweiter Schießzwischenfall nahe der tibetischen Grenze

Der Tod des tibetischen Mönches folgt auf einen anderen Zwischenfall vor etwa acht Tagen. Ein nepalesischer Sherpa, der eine Flüchtlingsgruppe begleitete, welche die Grenze nach Nepal überquert hatte, wurde von der Polizei in den Arm geschlossen. Die genauen Umstände und der Ort des Geschehens sind noch nicht bekannt. Bisher wurde nicht bestätigt, ob der Sherpa als ein Mittelsmann fungierte, der den Tibetern bei der Flucht half.

Ungefähr zwei bis dreitausend Tibeter fliehen jedes Jahr über Nepal ins Exil. Viele von ihnen sind Mönche, die ihre monastische Erziehung und religiöse Praxis in tibetischen Klöstern im Exil fortsetzen möchten, während andere fliehen, um in den Exil-Schulen, besonders in Dharamsala, zu studieren. Die meisten der von dem Zwischenfall in Charikot betroffenen Flüchtlinge sind zumeist zwischen 17 und 21 Jahre alt, die nun eventuell in Exilschulen in Indien unterkommen werden.

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